Zwar beziehen sich die Objekthaftigkeit sowie die Perspektive offensichtlich auf die Minimal Art, dennoch bietet es sich an, vergleichende und verbindende Gedanken zur Minimal Music anzustellen. Dieses Kapitel beschäftigt sich vorwiegend mit der objekthaften Kunst, es sollen aber auch minimalistische Tendenzen in der Malerei und deren ambivalentes Verhältnis zum Objekt der minimalistischen Kunst thematisiert werden.

Malerei und Objekt
Die Minimal Art kennt seit ihren Anfängen sowohl die malerische als auch die objekthafte Kunst, wobei letztere zumindest in quantitativer Hinsicht dominiert und über einen höheren Bekanntheitsgrad verfügt. Seitdem dauert die Auseinandersetzung zwischen Kritikern und Künstlern an, welche Kunstrichtung nun tatsächlich die Minimal Art repräsentiert. Dass sich die Objektbildung der Minimal Art ursprünglich aus der Malerei insbesondere von Frank Stella entwickelt, spielt in dieser Diskussion nur eine untergeordnete Rolle.
Auf der Seite der Malerei finden sich Künstler wie Jo Baer (1929 in Seattle geboren), Robert Mangold (1937 in North Tonawanda, NY geboren), Brice Marden (1938 in Bronxville, NY geboren) und Agnes Martin (1912 in Maklin, Kanada geboren, 2004 in Taos, New Mexico gestorben), die jedoch weniger die minimalistische Idee weiterentwickeln, als vielmehr deren Einfluss auf ihr Medium umsetzen. Während sich diese Gruppierung auf reduktive Ansätze in Monochromen sowie die Serialität in Bildern konzentriert, setzt sich die Objektkunst mit Themen wie Material, Form und Raum auseinander. Mit ihrer Abneigung gegen das Bildhafte hinterfragt die objekthafte Kunst die Existenzberechtigung der gesamten Malerei. Zudem kann ein Bild im Gegensatz zu einer Arbeit wie Carl Andres Ziegelsteinen kaum den Anspruch auf die sogenannte Nicht-Kunst erheben, womit die für die Minimal Art wesentliche Kritik am etablierten Kunstbetrieb und dessen Ausstellungsraum bereits ausgeschlossen ist.
Weiters bemängelt vor allem Donald Judd, dass der begrenzte, rechteckige Rahmen einer Leinwand der angestrebten Einfachheit zu geringe Möglichkeiten bietet. Ebenso sieht er den Raum im Vergleich zur Farbe auf einer Ebene als ungleich interessanter und zugleich kraftvoller an. Damit prophezeit er dem Gemälde, das er durchwegs als europäisches Relikt bezeichnet, ein baldiges Ende. Doch das Streben nach absoluter Reduktion stößt auch in der Räumlichkeit an seine Grenzen. Wie der Kurator George Stolz anmerkt, tendiert der Minimalismus von Anfang an dazu, in seiner eigenen Perfektion zu ersticken, denn „die makellose Einfachheit eines an einer weißen Wand fixierten weißen Würfels ließ sich nicht mehr makelloser und nicht mehr einfacher machen.“[1]
Gemeinsam mit Morris wendet sich Judd sogar von den Skulpturen ab, die wie Gemälde „Stück für Stück gemacht [werden], durch Addition und Zusammensetzung“[2], beide vertreten stattdessen die Unteilbarkeit eines Werkes. Da ein Objekt nur ein Minimum an einzelnen Teilen aufweisen kann, um minimal zu sein, wird im Idealfall die Form zum Objekt.

Funktion der Räumlichkeit
Die internen Beziehungen früherer Werke verbleiben nicht mehr im Kunstwerk selbst, sondern entwickeln sich zu einer Funktion von Raum, Licht und Gesichtsfeld weiter, wie Morris in seinem Essay Notes on Sculpture (1966) notiert. Diese Umorientierung an der Rezeption ist nicht zuletzt auf die Auswirkung des Rückzugs zurückzuführen, den viele minimalistische Künstler aus ihrer eigenen Arbeit vollziehen.
Nachdem sich der Betrachter nun mit dem Kunstwerk im selben Raumgefüge befindet, erhält er schließlich die Gelegenheit, selbst verschiedene Beziehungen zum Werk aufzubauen. Unterstützt wird dies durch die Einnahme von unterschiedlichen Positionen im Raum und dem damit einhergehenden Lichtverhältniswechsel, was wiederholt zu neuen Wahrnehmungsaspekten führen kann.
Bewegt sich nun ein Betrachter in Relation zum Werk, ergibt sich die aus dem Verhältnis zwischen dem Objekt und der eigenen Körpergröße eine dynamische Empfindung von Größe. Im Fall von besonders großen Objekten entsteht bereits aufgrund des pragmatischen Wunsches, die Gesamtheit der Arbeit überblicken zu können, eine unwillkürliche Distanz zwischen Kunstwerk und Rezipient.
Diese sowohl physisch als auch psychisch verankerte Distanz findet sich vor allem bei Carl Andre wieder, dessen Holzarbeit für eine der ersten minimalistischen Gruppenausstellungen unter dem Titel Shape and Structure (1965) derart massiv ist, dass sie den Galerieboden annähernd zum Einsturz bringt und infolgedessen entfernt werden muss. Der lakonische Kommentar des Künstlers: „Ich wollte den Raum der Galerie einnehmen und festhalten, nicht nur füllen, sondern einnehmen und festhalten.“[3]
Auch Richard Serra fertigt imposante Objekte an, die er größtenteils im öffentlichen Raum positioniert, um mit seiner Kunst auf ein unvorbereitetes Publikum zu wirken. Das ist bei Kunst im leeren, weißen Galerieraum unmöglich, weshalb er sich von Minimalisten wie Judd und ihrer generischen Raumkonzeption distanziert. Indem er einen ähnlichen Ansatz des Raum-Einnehmens wie Andre verfolgt, gleichzeitig aber den traditionellen Kunstraum der Galerie verlässt und die Öffentlichkeit mit teils monumentalen Objekten konfrontiert, sind Konflikte bereits vorprogrammiert.
Sein berühmtestes Beispiel dieser Art stellt die Arbeit Tilted Arc (1981) vor dem Federal Plaza in New York dar, die aus einer über dreieinhalb Meter hohen, leicht gekrümmten Stahlwand besteht und sich aufgrund der provozierenden, quer über den gesamten Platz erstreckenden Positionierung bewusst den Menschen in den Weg stellt. Serra bekundet damit sein Interesse, mit seinen Objekten eine neue, eigene Situation zu schaffen und zwingt die Öffentlichkeit dazu, sich damit im täglichen Leben fernab der Galerie auseinanderzusetzen. Die öffentliche Reaktion ist allerdings weitgehend ablehnend, weshalb das Objekt 1989 nach massivem Protest aus der Bevölkerung wieder abgebaut wird.
Die Verwendung von Autorität vermittelnden Materialien und Formen, die häufig mit besonderer Größe und hohem Gewicht der Arbeiten kombiniert werden, ist für die minimalistischen Objektkünstler durchaus bedeutend. In der Kunstgeschichte gelten vor allem in der Zeit der Minimal Art sämtliche Synonyme für Macht wie autoritär, stark oder beherrschend als Inbegriff des positiven Kunstwerkes, während Eigenschaften wie weich oder flexibel selten ernst genommen werden. Mit der zweiten Generation der minimalistischen Kunst und ihrer Entdeckung von neuen Materialien und Formen wird diese Interpretation jedoch zunehmend in den Hintergrund gedrängt.
Als kraftvoll wird ein Kunstwerk aufgrund eines besonders einheitlichen Erscheinens bezeichnet, womit sich alle Einzelteile der Arbeit in einer Ganzheit auflösen. Anstatt den unterschiedlichen Elementen erst nachträglich eine einheitliche Form zu verleihen, vermeiden die minimalistischen Objektkünstler ungleiche Teile innerhalb eines Kunstwerkes, indem sie bereits zu Beginn von absoluten Formen wie dem Kubus ausgehen.
Jener bedingungslosen Reduktion im Raum sowie dem nachdrücklichen Autoritätsanspruch entspricht beispielsweise der Würfel Die (1962) von Tony Smith (1912 in New Jersey geboren, 1980 in New York gestorben). Das Objekt misst an allen Längen sechs Fuß, umgerechnet knapp 180 cm, und ist aufgrund dieser Größe als ultimatives Hindernis konzipiert. Selbst der Titel des Kunstwerkes fügt sich mit der kubischen Form in eine die gesamte Arbeit umspannende Einheit, denn die Längenangabe „six feet“ bezieht sich auf die englische Bezeichnung „six feet under“ für den Zustand einer begrabenen Person.
Bemerkenswert erscheint die Definition der speziellen Kubusgröße, auf die Smith in folgendem Frage-Antwort-Spiel näher eingeht. „Warum haben Sie ihn nicht größer gemacht, sodass er den Betrachter überragt?“ begegnet er mit „Ich habe kein Monument gemacht.“ Auf die Frage, warum er ihn dann nicht kleiner gemacht hat, damit man über ihn hinwegsehen kann, antwortet der Künstler lapidar: „Ich habe kein Objekt gemacht."[4] Damit macht Smith auf seine individuelle Größeneinteilung dreidimensionaler Kunstwerke aufmerksam und ordnet sein Werk gleichsam zwischen Öffentlichkeit des Monuments und Intimität des kleineren Objekts ein.
Richard Serra bekennt sich zu einem auffallend stark ausgeprägten Machtwillen, der nicht nur in seinem Skandalwerk vor dem Federal Plaza in New York Gestalt annimmt, sondern bereits mehr als ein Jahrzehnt davor in seiner Kunstwerkserie der Prop Sculptures (1969-1987) offensichtlich wird. Darin gesellt sich zur meist beträchtlichen Größe die permanent anwesende Gefahr, dass die einzelnen, lediglich aneinander gelehnten Eisenplatten auseinander fallen könnten. Die Platten werden nämlich ausschließlich von der Schwerkraft und ihrem Eigengewicht zusammengehalten, was bei den Auf- und Abbauarbeiten der Installation durchaus auch zu verletzten Arbeitern führt.
Doch nicht nur eine bestimmte Größe, sondern auch die Gegenwärtigkeit einer Arbeit kann zu einer besonderen Ausstrahlung von Stärke führen. Robert Morris’ knapp 80 cm hohe Konstruktion Untitled (1966) vermittelt mit ihrer maschendrahtähnlichen Struktur Assoziationen zu einem Käfig oder einer Gefängnisumgebung und nimmt trotz ihrer relativ geringen Ausmaße die Ausdruckskraft einer unumschränkten Autorität an.

Analogien zur Musik
Auch wenn es keine direkte Parallelität von Objekthaftigkeit und Perspektive zur minimalistischen Musik gibt, so lassen sich dennoch vergleichbare Ansätze finden. Während die Räumlichkeit der Minimal Art eine neue Sichtweise auf sich nicht ändernde Elemente ermöglicht, geschieht in der Minimal Music ein ähnlicher Wandel der Rezeption mittels Phasenverschiebung.
Bereits ab 1963 setzt sich Steve Reich als erster minimalistischer Komponist intensiv mit phasenverschiebenden Modellen in seiner Tonbandschleifenmusik auseinander, die erste Komposition mit ausschließlicher Verwendung dieser Technik betitelt er It’s gonna rain (1965). Darin wird ein Ausschnitt einer Laienpredigt, deren Umfang sich auf den im Titel genannten Text beschränkt, mit mehreren Tonbandgeräten zugleich abgespielt. Da die Abspielgeschwindigkeit von Gerät zu Gerät minimal abweicht, entwickelt sich durch die Spurenüberlagerungen eine jeweils neue Sichtweise auf das ursprüngliche Motiv.
Besonders deutlich wird dieser Effekt bei Reichs Werk Piano Phase (1967), dessen relativ komplexes Ausgangsmuster aus gegeneinander gespielten Dreiton- und Wechselfiguren besteht. Durch die allmähliche Verschiebung dieser Figuren werden neue, im ursprünglichen Muster fehlende Intervalle hörbar, was in der Minimal Art mit der Bewegung des Publikums um ein Kunstwerk und der daraus neu gewonnenen Perspektive korrespondiert.
Oberflächlich betrachtet bleibt der Unterschied bestehen, dass der Sichtwechsel auf das musikalische Material über ein striktes Konzept vordefiniert werden muss und somit nicht vom Hörer steuerbar ist, wohingegen in der Kunst dem Betrachter das individuelle Recht eingeräumt wird, eine beliebige Position einzunehmen.
Bei einer näheren Auseinandersetzung speziell mit Reichs Kompositionen dieser Art offenbaren sich jedoch psychoakustische Nebenprodukte wie beispielsweise die Wechsel von Ein- und Zweiklang oder mikrotonale Interwalländerungen. Diese verursacht der Komponist nicht auf bewusste Art, sondern sie werden erst in der Summe aller einzelnen Stimmen hörbar und hängen vor allem von der Interpretation des Musikers als auch von der Rezeption des Publikums ab.[5] Welche akustischen Phänomene der Hörer schließlich wahrnimmt, wird somit stark von seiner eigenen Konzentration beeinflusst. Ähnlich der Minimal Art wird damit dem Rezipienten zu einem bestimmten Maß die Kontrolle über die feinen Wahrnehmungsdetails einer Komposition zugesprochen.
Das radikalste Beispiel für Phasenverschiebung in der minimalistischen Musik bei einer gleichzeitigen Reduktion des Ausgangsmaterials stellt György Ligeti (1923 in Transsilvanien, Rumänien geboren), der allerdings nicht als klassischer Vertreter der Minimal Music zu sehen ist, in seinem Werk Poème symphonique (1962) dar. 100 Metronome ticken in unterschiedlicher Geschwindigkeit, was die Wahrnehmung einer klanglichen Einheit anstatt einer hoch komplexen Polyphonie bewirkt. Dies führt wiederum zum Anspruch der beiden Minimalisten Judd und Morris, das Kunstwerk der vielen Teilen durch das Kunstwerk der Einheit zu ersetzen.